„Wir sind unabhängig, neutral und keinen Weisungen unterworfen“

Interview mit Hans Dieter Wieden, Leiter des Revisionsamts

 

Herr Wieden, das Revisionsamt der Stadt Frankfurt feiert am 8. Dezember 2021 sein 125-jähriges Jubiläum. Sie sind der Chef dieses Amts, also der derzeitige Amtsleiter. Verraten Sie uns doch bitte einmal, was genau das Revisionsamt macht. Was sind Ihre Aufgaben und die Ihres Teams?
Das Revisionsamt ist für alle Prüfungen im Bereich der Stadtverwaltung und der städtischen Beteiligungen wie Unternehmen und Stiftungen zuständig. Unsere Zuständigkeiten decken sich mit denen der Stadtverordnetenversammlung. Zu allen Beschlussvorlagen, die im Magistrat beraten werden, können wir Stellung nehmen. Wir beschränken uns längst nicht mehr auf die Prüfungen von Rechnungen, wie der gesetzliche Begriff „Rechnungsprüfung“ in der Hessischen Gemeindeordnung dies suggeriert. Prüfungen der Revision sind Chancen, Risiko und Nutzen orientiert, Prüfungsgegenstände sind Prozess, Projekte, komplexe Bauvorhaben, IT Systeme und die IT Sicherheitsarchitektur. Unsere Prüfungsmaßstäbe sind Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit. Prüfen ist vereinfacht dargestellt ein Soll-Ist-Vergleich. Als Soll dienen rechtliche Grundlagen, städtische Regelungen und die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung. Unser Aufgabenspektrum ist also sehr umfangreich. Übrigens hat sich auch mit der Zeit der Charakter unserer Prüfungen verändert. Etwa dahingehend, dass wir bestrebt sind, nicht einfach ex post zu prüfen – danach ist man bekanntlich immer klüger. Inzwischen erfolgen unsere Prüfungen ex ante oder begleitend, sie setzen also möglichst früh an.

  • Ist das Revisionsamt so etwas wie ein städtischer Rechnungshof? Und können Sie ähnlich unabhängig wie die Rechnungshöfe der Länder oder des Bundes operieren?
    Dieser Vergleich trifft durchaus zu. Im Prinzip sind unsere Stellung und die Prüfungen vergleichbar mit den Rechnungshöfen auf der städtischen Ebene. Deshalb wäre die Bezeichnung als „Stadtrechnungshof“ durchaus treffend. Im Unterschied zu Rechnungshöfen sind wir keine eigenständige Behörde, sondern in die Stadtverwaltung eingegliedert. Wie die Rechnungshöfe sind wir unabhängig, neutral und keinerlei Weisungen unterworfen und können selbst keine Weisungen erteilen. Was wir prüfen, wie wir und mit welchen Ergebnissen wir prüfen, entscheiden alleine wir. Dabei beachten wir das Selbstprüfungsverbot, das gebietet, selbst nicht operativ tätig zu werden. Ähnliche Regelungen gelten ja auch bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Insgesamt würde ich sagen, dass sich unsere prinzipielle Unabhängigkeit und die damit verbundenen Regeln und Grundsätze bewährt haben, und das ist in meinen Augen auch die Ursache, weshalb unser Amt und seine Prüftätigkeiten in Politik und Öffentlichkeit ein so hohes Ansehen genießen.


    Apropos Unabhängigkeit: Sie sind doch selbst ein städtisches Amt und unterliegen damit Weisungen von Oben. Kollidiert das nicht mit Ihrem Selbstverständnis?

    Sie müssen da klar unterscheiden: Als Amt unterliegen wir dem Dienstrecht der Stadt, was z.B. die Personalfragen betrifft. Unsere Unabhängigkeit wird davon aber nicht tangiert. Dienstrechtlich unterstehen wir direkt dem Oberbürgermeister, der uns aber nicht vorschreiben kann, was wir wie im Bereich der Stadtverwaltung und anderer städtischer Einrichtungen zu prüfen haben. Das ist, wie bereits gesagt, unsere alleinige und von allen äußeren Einflüssen oder internen Weisungen unabhängige Entscheidung. Der jährliche Prüfplan wird von mir als Amtsleiter festgelegt und darf nur mit meiner Zustimmung verändert werden. Ich kann feststellen, dass Oberbürgermeister a.D. Petra Roth und der amtierende Oberbürgermeister Peter Feldmann die Unabhängigkeit der Revision stets uneingeschränkt akzeptiert haben und die Fachkunde schätzen.


    Sie sind ein städtisches Amt, das die Aktivitäten anderer städtischer Ämter und Einrichtungen begleitet, kommentiert und ein internes Kontrollsystem vorhält. Wie sieht da die Zusammenarbeit aus? Und: kommt es dabei nicht zu ständigen Kollisionen und Streitereien über Kompetenzen und Zuständigkeiten?
    Ich denke, unser System funktioniert sehr gut, und die Zusammenarbeit mit den anderen Ämtern und Einrichtungen ist über die Zeit hinweg immer besser geworden und heute durch Vertrauen und Kooperationsbereitschaft geprägt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, zu welchem Anlass und aus welchen Motiven heraus wir prüfen. Um es klar zu sagen: Wir sind nicht dazu da, bei anderen irgendwelche Fehler zu finden und diese ihnen dann vorzuhalten. Wir versuchen vielmehr, die Arbeits- und Geschäftsprozesse der städtischen Ämter und Einrichtungen so zu begleiten, dass sie richtig ausgeführt und gut gemanagt werden und im Zuge dessen alle Potenziale – sei es nun in Richtung Einsparungen oder Verbesserung der Abläufe im Interesse der Bürger:innen – optimal ausgeschöpft werden können. Das ist der Sinn und das Ziel unserer Prüfungen.

    Wie ist das Revisionsamt strukturiert? Wie sieht ihre Organisation aus, und wie passen sie diese Organisation an neue Herausforderungen an?
    Intern sind wir nach Themenfeldern in Abteilungen und Referaten organisiert. Hierzu zählen beispielsweise Bildung und Kultur, die städtische Bauverwaltung und Gesundheitswesen, Jugend und Sport sowie die baulichen Aktivitäten der Stadt. In unseren einzelnen Abteilungen sind also Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tätig, die sich in den entsprechenden Themenfeldern sehr gut auskennen und die für unsere Prüfungen nötige Fachkompetenz mitbringen. Der größte Bereich ist das Grundsatzreferat, das unter anderem auch für die Schlussberichte verantwortlich ist. Hier werden die Prüfung des Jahresabschlusses, des Gesamtabschlusses, der Sondervermögen und die wesentlichen Feststellungen aus den unterjährigen Prüfungen zusammengefasst. Die Berichte werden in den öffentlich tagenden Ausschüssen erläutert und veröffentlicht, können also alle Bürgerinnen und Bürger online einsehen können. Das Grundsatzreferat ist auch mit der Betätigungsprüfung bei Unternehmen befasst, an denen die Stadt beteiligt ist. Beispielhaft kann ich hier Stadtwerke Holding, den ABG Konzern, die Messegesellschaften und den FES Konzern nennen. Wir prüfen, ob das Beteiligungsmanagement die städtischen Vertreter in den Aufsichtsräten angemessen unterstützt. Bei den anderen Beteiligungen wie etwa die Krankenhausgesellschaften und für Stiftungen sind die betreuenden Prüfenden in den jeweiligen Fachreferaten zuständig. Unser Amt befasst sich auch sehr intensiv mit den Themen Digitalisierung, der Prüfung der eingesetzten Software und der IT Sicherheit. In der Regel sind wir bei Softwareprojekten oder Onlineantragsprozesse begleitend prüferisch tätig. Ich selbst bin in zahlreichen Lenkungskreises und dem IT Strategierat beratend tätig und bringe unsere Prüfungserfahrungen dort ein. Diese Themen werden immer wichtiger und die Stadt hat hier einen erheblichen Nachholbedarf.

    Meine bautechnische Prüfabteilung prüft alle Baumaßnahmen ab 500.000 Euro von der Anmeldung der Haushaltsmittel bis zur Abrechnungsprüfung. Die Prüfberichte und Stellungnahme bilden die Grundlage für die Beschlussfassungen von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung.

    In 1994 wurde die Innenprüfung der Leitung des Revisionsamts zugeordnet. Die Innenprüfung ist eine Prozessunabhängige Einrichtung zur Prüfung der Einhaltung städtischer Regelungen, zur Funktionsprüfung interner Dienstanweisungen und zur Qualitätssicherung.

    Ein kleines aber wichtiges Referat ist das Referat für Sonderprüfungen, das damit betraut ist, Unregelmäßigkeiten vorzubeugen und aufzudecken. Bei den Prüfungen wird das Referat von den fachlich zuständigen Prüfenden unterstützt. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der letzten beiden Jahre lag in der Koordinierung der von der Stadtverordnetenversammlung im Dezember 2019 beauftragten Sonderprüfung zu den Vorkommnissen beim AWO Kreisverband Frankfurt.

    Ihre wichtigsten Arbeitsergebnisse werden, wenn ich das richtig verstehe, zu Berichten zusammengefasst. Also etwa Prüfberichte und der Jährliche Schlussbericht. Können Sie uns bitte etwas zu ihrem Berichtswesen sagen? Und an wen genau berichten Sie?
    Die Adressaten unserer Berichte sind die betroffenen Ämter und Einrichtungen sowie auf der politischen Ebene die Stadtverordnetenversammlung und der Magistrat. Neben dem schon erwähnten jährlichen Schlussberichten führen wir rund 400 fachliche Prüfungen durch, die in Berichten der Revision münden. Eine wichtige Aufgabe sind die rund 400 Stellungnahmen an den Magistrat im Jahr, die sehr komplex ausfallen können und unter beträchtlichem Zeitdruck von vier Wochen entstehen. Wir dürfen zu allen Magistratsvorlagen Stellung nehmen und sollen zu allen finanzrelevanten Vorlagen Stellung beziehen – für ein Amt mit 79,5 Planstellen, die nicht alle besetzt sind, also eine Menge Arbeit. Unsere Schlussberichte richten sich an die Stadtverordnetenversammlung und die Stadtgesellschaft und sind öffentlich auf der Homepage der Stadt abrufbar. Hier werden unsere Prüfungen und wesentlichen Feststellungen eines Jahres zusammengefasst. Berichte der Revision richten sich an die Dezernate und Ämter. Hierin wird über die wesentlichen Feststellungen und die mit der geprüften Stelle getroffenen Vereinbarungen zur Umsetzung berichtet. Obwohl wir Niemand zur Umsetzung unserer Prüfergebnisse anweisen oder gar zwingen können, sind wir stolz darauf, dass viele unserer Vorschläge und Reformansätze von den Entscheidungsträgern und den Ämtern angenommen werden. Beispiele hierfür sind etwa das Fuhrparkmanagement der Stadt, die langfristige Betrachtung von kommunalen Bautätigkeiten inklusive des kostenintensiven Lebenszyklus eines Gebäudes oder neue Prioritäten im kommunalen Verkehrswesen.


    Damit ihre Prüfaktivitäten die gewünschte Wirkung – also etwa Neuinvestitionen oder Einsparungen – erzielen können, sollten sie bei der Konzeption und Planung von städtischen Projekten möglichst früh mit im Boot sein. Frage: Ist das der Fall? Oder kommen Sie mit ihren Prüfungen und Kontrollen nicht immer zu spät?
    Es gab ja bei uns so etwas wie einen Paradigmenwechsel, über den ich vorhin schon kurz gesprochen habe. Also weg von ex post-Prüfungen und hin zu einem ex ante-Ansatz. Um unsere Aufgabe einer sinn- und wirkungsvollen Begleitung von Arbeits- und Geschäftsprozessen möglichst gut zu erfüllen, ist es gut, wenn wir so schnell wie möglich einbezogen werden. Ich muss leider sagen: Diese Bedingung ist nicht immer erfüllt, aber wir sind andererseits immer häufiger von Anfang mit dabei. Und wie gesagt: Unter dieser Voraussetzung können wir heute mehr bewegen denn je und unseren wirtschaftlichen und technischen Sachverstand zugunsten der Stadt einbringen.

    Es gibt ja nicht nur staatliche Rechnungshöfe, sondern auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die ähnliche arbeiten wie das Revisionsamt. Wie ist ihr Verhältnis zu diesen privaten Unternehmen?
    Das ist, um ehrlich zu sein, vor allem eine Frage der Qualität. Es gibt Wirtschaftsprüfer, die hervorragende Arbeit leisten, und andere, die dem gängigen Klischee leider entsprechen. Ich denke, das ist in allen Branchen und Lebensbereichen so. Es gab Zeiten, die noch gar nicht so lange zurückliegen, wo die Interessenvertretung der Wirtschaftsprüfer versuchten, das Thema Jahresabschlussprüfungen der Kommunen für sich zu reklamieren. Aktuell beraten Wirtschaftsprüfende und Juristen Städte und ihre Verwaltungen bei Organisationsentwicklungsprozessen, komplexen steuerlichen Fragen oder vieles mehr. Der Blick von außen ist sicher gut, aber häufig merken die Berater, dass öffentliche Recht nicht so einfach ist: Stadtverwaltungen und ihre Ämter sind in vieler Hinsicht eine eigene Welt – wirtschaftlich und vor allem auch juristisch gesehen. Man muss sich hier sehr gut auskennen, und die Prozesse kennen, die anders ablaufen müssen als z.B. in der freien Wirtschaft. In meinen Augen ist da unser Status als städtisches Amt ein echter Vorteil: Wir wissen aus eigener Erfahrung, welche Ansprüche an kommunale Ämter heute gestellt werden und wie sie einzulösen sind. Von daher ist dieser Mix aus prinzipieller Unabhängigkeit als Prüfer:innen und unserem Status als Amt schon ein echter Vorteil, den wir den kommerziellen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften voraus haben. Vor allem sind wir das ganze Jahr vor Ort und nicht nur punktuelle zu einzelnen Prüfthemen. Auf der anderen Seite sind wir ja auch mit Prüfungen bei städtischen Unternehmen befasst, die als Gesellschaften und Eigenbetriebe von Wirtschaftsprüfenden geprüft werden. Wir haben also die Möglichkeit, deren Prüfungen und unsere Arbeit direkt zu vergleichen, und ich glaube, dieses Zusammenwirken bringt im Endeffekt für beide Seiten Nutzen. Erlauben Sie mir den Hinweis, dass ich als Vorsitzender des Instituts der Rechnungsprüferinnen und Rechnungsprüfer (IDR) sehr eng und vertrauensvoll mit anderen Prüfeinrichtungen und Wirtschaftsprüfenden zusammenarbeite. Gemeinsam verfolgen wir im IDR das Ziel, die öffentliche Finanzkontrolle zu stärken.

    Herr Wieden, zum Schluss erlauben Sie mir bitte noch die Frage, was in Zukunft geschehen wird. Wie stellen sich die aktuellen Herausforderungen dar, und welche Folgen wird das voraussichtlich für die kommenden Jahre haben? Einfach gefragt: Wie sieht die Vision für das Revisionsamt aus?
    Dazu zwei Bemerkungen – einmal konzeptioneller und dann technischer Natur: Konzeptionell ist es so, dass bei uns inzwischen eher die Qualitätssicherung anstelle der Kontrolle im Mittelpunkt unserer Arbeit steht. Wir möchten, wenn Probleme sichtbar werden, Schuldzuweisungen vermeiden und darauf hinwirken, dass diese Mängel abgestellt werden können. Das betrifft übrigens auch die Innenprüfung, bei der die Prüfer:innen vergleichsweise eng in die Arbeit einzelner Ämter eingebunden sind und deshalb auch einen etwas anderen juristischen Status als die Revision hat, die ja, wie ich vorhin schon sagte, einem strengen Selbstprüfungsverbot unterliegen.

    Ich denke, dieser Trend hin zum Qualitätsmanagement wird sich in Zukunft noch verstärken. Ein anderer Aspekt ist auf den ersten Blick technischer Natur: Die IT wird für die Stadtverwaltung wie auch unser Amt immer wichtiger. Ich bin Mitglied in der Reformkommission der Stadt und weiß aus langer Erfahrung, dass die Stadt als Ganze in dieser Hinsicht erheblichen Nachholbedarf hat. Die damit verbundenen Probleme haben sich ja nicht erst während der Pandemie gezeigt, sondern waren schon vorher offenkundig. Wenn ich eben von „technischer Natur“ gesprochen habe, dass es sich hierbei um einen ersten und eher oberflächlichen Blick handelt, ist das mein voller Ernst. Im Zuge der Digitalisierung kann es nicht darum gehen, die Arbeitsprozesse gewissermaßen Eins zu Eins im Cyberspace abzubilden. Nein. Was hier benötigt wird, ist ein echter Qualitätssprung und ein Einsatz von Software, der sich von unseren herkömmlichen Arbeitsweisen deutlich entfernt und konsequent Neuland beschreitet. Das ist im Moment etwa bei der geplanten Einführung von E-Akten der Fall, bei der das Revisionsamt eine wichtige Rolle spielt, weil dadurch unsere Prüfaktivitäten noch mehr vereinfacht werden können. Ein zeitgemäßer Einsatz von IT wird natürlich auch unsere Kommunikation und das Verhältnis der Verwaltung zu den Bürger:innen der Stadt grundsätzlich verändern. Die dann doch recht umständlichen und zeitraubenden Besuche, die den Bürger:innen heute noch von den Ämtern der Stadtverwaltung abverlangt werden, sollten in Zukunft mehr oder weniger entfallen und die damit verbundenen Aktivitäten online erledigt werden können. Wir werden als Ämter der Stadt Frankfurt unsere Arbeit, unsere Kommunikation und die Kontakte zu den Bürgerinnen und Bürgern, die der politische Souverän und damit unsere Chefs sind, auf einer neuen digitalen Ebene konzipieren und umsetzen müssen.

    Kommune wird sich neu definieren müssen, die klassische Daseinsvorsorge bekommt eine ganz andere und neue Bedeutung. Schnelles Internet in allen Teilen der Stadt ist genauso wichtig, wie etwa die Versorgung mit Strom und Wasser und die Abfallentsorgung.

    Ich bin überzeugt: Das ist unsere Zukunft!